Schwemmland

 

Auffahrt zum Urðarháls

 

Kraterrand des Urðarháls

 

Direkt am Gletscher

 

Der schwerste Berg.

 

Die Gæsavötn sind in Sicht.

10.Tag-07.August 2004
Über die Gæsavatnaleið syðri bis zu den Gæsavötn, 49 km

Gegen halb 7 strecke ich zum ersten Mal den Kopf aus dem Zelt. Der Himmel ist immer noch mit Wolken verhangen, aber es regnet nicht mehr. Der Topf, den ich in der Nacht hinter das Zelt gestellt habe, ist fast voll. Somit habe ich 1,5 Liter zusätzliches Trinkwasser. In Gedanken bin ich gerade dabei zu entscheiden, welche Strecke wir fahren. Wenn ich mir das Wetter so anschaue, dann wohl lieber die Gæsavatnaleið nyðri.

Nach dem Frühstück geht das Zusammenpacken sehr schnell. Dadurch, dass alles noch klatschnass ist, packen wir aber auch Unmengen an Lavasand mit ein. Die Kreuzung der Gæsavatnaleið syðri und nyðri ist nur noch 500 m entfernt. Dort müssen wir uns entscheiden. Durch den vielen Regen der letzten Nacht ist der Boden deutlich fester geworden. Wir können zwar noch nicht fahren, aber das Schieben geht viel einfacher als gestern. Als wir dann an der Kreuzung stehen, wechselt unsere Entscheidung innerhalb von Sekunden. Mein Höhenmesser zeigt steigenden Luftdruck, der Boden ist deutlich fester und teilweise fahrbar und der Berg Trölladyngia (1460 m) ist nicht mit Wolken verhüllt. Die Wolkendecke ist hoch genug, damit auf der Gæsavatnaleið syðri ausreichend Sicht ist. In mir keimt Hoffnung. Ich frage Winfried. “Wollen wir die Gæsavatnaleið syðri riskieren?” Seine Antwort ist die Entscheidung. “Los, wir kommen nie wieder hierher.”

Die nächsten Kilometer führen wieder durch Lavasand. Der meiste Teil ist fahrbar, nur da, wo der Sand sehr tief ist, müssen wir schieben. Die Strecke ist eben, es geht nur ganz leicht bergauf. Nach einer halben Stunde haben wir bereits 5 km geschafft. Gestern hätten wir für dieses Stück die 3-fache Zeit gebraucht. Durch die guten Bedingungen bin ich hoch motiviert. Die ca. 45 km bis zu den Gæsavötn sollten so heute zu schaffen sein. Nach ca. 8 km wechselt die ebene Strecke in einen Zickzackkurs zwischen großen Lavabrocken. Auch scheinen wir vor der Schwemmsandebene noch einen kleinen Bergrücken überqueren zu müssen, da es jetzt deutlich berghoch geht. Der Zickzackkurs durch das Lavafeld ist wirklich abenteuerlich. Manche Hohlgassen sind so eng, dass ich mich frage, wie wohl ein Fjallabil (isländischer Hochlandjeep) hier hindurch kommen will. Aber zumindest mit den zum Teil einen halben Meter hohen Steinstufen aus Lavabrocken hätte eine Fjallabil keine Probleme.

Dann wird die Sicht in die Schwemmlandebene frei. Am Beginn der Ebene steht ein Hinweisschild, dass wahrscheinlich vor dem Schmelzwasser warnen sollte. Aber es ist durch den ständigen Wind mit Lavasand sandgestrahlt und nur noch blankes Blech zu sehen. Ein Hinweis auf die hier normal herrschenden Wetterbedingungen. Ich hole erst einmal das Fernglas raus und suche den Horizont ab. Es ist ca. 10 Uhr und es ist noch nirgends Schmelzwasser zu sehen. Aber überall sind trockene, ca. 15 bis 20 cm tiefe Kanäle zu sehen, die sich langsam mit Wasser füllen werden. Da ich nicht weiß, wie schell das geht und ich vor dem Schmelzwasser einen höllischen Respekt habe, beeile ich mich, die Schwemmlandebene zu durchqueren, um sozusagen die “rettende” Auffahrt zum Urðarháls zu erreichen. Dadurch hänge ich Winfried ganz schön ab und er ist bald mehr als einen Kilometer hinter mir.

Ca. 1 km vor der Auffahrt zum Urðarháls treffen die beiden Zufahrten zur Gæsavatnleið syðri aufeinander. Von Osten sehe ich einen zum Expeditionsmobil umgebauten LKW kommen. Der Fahrer hat mich gesehen und an der Stelle, wo sich die beiden Zufahrten zum Urðarháls treffen, wartet er auf mich. So ergibt sich die Gelegenheit, ein paar Worte zu tauschen. Der Fahrer erzählt mir, dass er die Strecke vor ein paar Jahren schon einmal gefahren ist, da hat die Schwemmlandebene aber zum großen Teil unter Wasser gestanden. Wir haben also heute gute Bedingungen. Durch den bedeckten Himmel und die fehlende Sonneneinstrahlung kann sich nicht so viel Schmelzwasser bilden. Winfried hat nun auch wieder zu mir aufgeschlossen. Als wir die letzten paar hundert Meter des Schwemmlandes durchqueren, kommt uns das erste Schmelzwasser entgegen. Die Kanäle füllen sich langsam mit Wasser. Die Geschwindigkeit des Wassers beträgt ca. 5-10 cm in der Sekunde.

Wir haben die Auffahrt zum Urðaháls erreicht. Sie sieht sehr steil aus, aber wir haben trotzdem erst einmal den Ehrgeiz, die Piste fahrend zu bewältigen. Aber nach 20 m Anstieg ist auch gleich wieder Schluss. Es ist einfach zu steil. Aber an das Schieben sind wir ja schon gewöhnt. Nach dem wir den ersten Anstieg geschafft haben, bietet sich hinter einem kleinen Lavaberg eine gute Aussicht auf den Gletscher und das Schwemmland. Mittlerweile kommt überall aus dem Gletscher Schmelzwasser heraus und die Ebene beginnt sich mit Wasser zu füllen. Als wir vom Aussichtspunkt zurück kommen, quält sich gerade ein quietsche gelber Mercedes LKW mit Untersetzung den Berg hoch. Mit dem LKW als Bezugspunkt, sehen wir erst einmal wie steil die Auffahrt ist.

Ab hier wechselt der Pistenbelag. War es bis hierher Lavasand, so haben wir es jetzt mit einer sehr steinigen Passage zu tun. Eine richtige Piste ist nicht zu sehen, es sind aber genügend gelbe Pflöcke gesetzt, so dass die Orientierung nicht so schwer ist. Zusätzlich bietet der gelbe LKW eine gute Orientierung. Er ist nicht viel schneller als wir. Im Zickzack schlängelt er sich den Berg hoch. Manchmal muss der Fahrer noch einmal zurück setzen, um sich einen anderen Weg zu suchen.

Ich weiß nicht, wie lange wir schon geschoben haben. Aber irgendwann wird die Steigung flacher und es wird der Blick auf das Hochplateau frei. Die Piste ist immer noch steinig, aber ich kann in den ersten 3 Gängen über die Steine hoppeln. Als ich am Kraterrand des Urðarháls angekommen bin, habe ich es erst einmal mit hohem Verkehrsaufkommen zu tun. Ich zähle 7 Autos. 2 Landrover mit italienischen Touristen, die restlichen Autos haben isländische Kennzeichen. Einer der Isländer hat sein Auto direkt in einer schmalen Durchfahrt, durch die die Piste führt, geparkt. Es gibt sozusagen Stau auf der Gæsavatnaleið. Hinter ihm stehen 2 weitere Autos, die darauf warten, dass er wegfährt, da sie sonst nicht weiter kommen.

Ich gehe zum Kraterrand und mache ein paar Fotos. Ein Teil der italienischen Touristen ist in den Krater des Urðrarháls hinunter gewandert und nun von oben als bunte Farbtupfer im Lavasand zu sehen. Am Kraterrand weht ein ziemlich starker Wind, so dass ich sehr schnell auskühle. Ich ziehe mich erst einmal dick an und verkrieche mich hinter ein paar großen Steinen. Ich muss doch länger auf Winfried warten, als gedacht. Nach einer halben Stunde ist er dann zu sehen. Ich merke, dass er ziemlich kaputt ist, da er auf die Fotos am Krater verzichtet. Um einen eventuellen Hungerast vorzubeugen, essen wir etwas.

Hinter dem Urðarháls schlängelt sich die Piste in einen Talkessel hinein. Auf der anderen Seite des Tales ist die Rettungshütte am Kistufell zu sehen. Die Auffahrt ist wieder so steil, dass wir schieben müssen. Nach der Auffahrt führt die Piste im Zickzack durch ein ausgedehntes Lavafeld aber trotz der Schlängelfahrerei erreichen wir die Rettungshütte recht schnell. Vor der Hütte steht der gelbe Mercedes LKW. Seine Insassen sitzen im Windschutz der Hütte, es gibt Mittagessen. Mein Mittagessen besteht aus zwei Müsliriegeln und einer ganzen Tafel Schokolade. Die Schokolade muss ich mir zwar rein zwängen, aber ich will keinen Hungerast bekommen. Nach dem Essen fährt Winfried schon vor. Ich gehe noch zur Hütte, um die Fotos für die Statistik zu machen. Leider gibt das Landschaftspanorama hier für vernünftige Fotos nicht viel her.

Die Schokolade liegt mir schwer im Magen. Ich brauche einige Zeit, um Winfried wieder einzuholen. Die Piste macht jetzt einen abenteuerlichen Zickzackkurs durch das Lavafeld. Die grobe Richtung ist aber ein langer Linksbogen Richtung Südwesten. Mitten im Nirgendwo taucht dann der Wegweiser “Trolladyngia 12 km” auf. Darunter ein kleines Schild mit einem Mann und einer Frau, das aussieht, als weise das es auf einen Rastplatz für den Sonntagsspaziergang hin. Da ein Wanderweg nicht zu sehen ist und das Schild nur die grobe Richtung angibt, doch etwas unwirklich, hier in der Einsamkeit.

Die Piste kommt nun ziemlich nah an den Gletscher heran. Der Gletscher ist aber nur ab und zu sehen. Meist sieht man nur eine schwarze Geröllhalde, manchmal blitzt blaues Eis dazwischen hervor. Das Lavafeld ist erst einmal zu Ende und eine Ebene öffnet sich. Am Rand steht ein riesiges dreieckiges Schild. Vielleicht kann man diese Ebene ja auch als Flugfeld benutzen. Sie ist lang genug und ziemlich eben. Als wir um den nächsten Berg herum sind, liegt eine Schwemmsandfläche vor uns. Im Normalfall ist das wohl ein Altschneefeld. Dieses Jahr sind aber auch auf dieser Höhe keine Altschneefelder mehr vorhanden. Zum Glück ist die Schwemmsandfläche nicht mit Wasser überflutet. Sie ist bestimmt 200 bis 300 m lang und wenn hier Wasser gestanden hätte, dann hätten wir wohl ziemlich kalte Füße bekommen. Die kleinen Bäche, die trotzdem vorhanden sind, können wir ohne die Schuhe auszuziehen überqueren.

Ich hole das GPS-Gerät raus und messe die Höhe. Es zeigt 1020 m an. Es muss aber noch einmal bergauf gehen, denn nach der Karte geht die Piste bis in ca. 1200 m Höhe. Wir suchen die Gegend ab und unsere Augen bleiben an dem gelben Mercedes LKW hängen. Er quält sich mühsam bergauf. Das ist dann wohl der letzte Anstieg, bevor es zu den Gæsavötn bergab geht. Der Berg hat es in sich. So anstrengend hatte ich mir die letzten Kilometer nicht vorgestellt. Winfried ist dieses Mal vor mir. Ich vertraue darauf, dass er den richtigen Weg findet. Nachdem wir uns aber mühsam den nächsten Berg hoch geschuftet haben, müssen wir feststellen, das wir uns verfahren, sprich verschoben haben. Wir suchen die Gegend ab und finden die gesteckte Piste wieder. Die paar hundert Meter bis dahin schieben wir, das Fahrrad wuchtend, quer durch das Lavafeld, dann haben wir die Piste wieder erreicht.

Der kommende Anstieg ist der schwerste, den ich je erlebt habe. Er ist nicht lang, vielleicht nur 100 oder 150 m. Der Anstieg ist aber so steil, dass selbst das Schieben des Rades verdammt schwer ist. Mehr als 4-5 m können wir nicht am Stück schieben, dann müssen wir wieder eine Pause machen. Hinzu kommt, dass in dem losen Geröll ständig die Schuhe wegrutschen. So brauchen wir für die paar Meter fast 20 min. Oben auf dem Berg pfeift dann auch der Wind mit einer steifen Prise. Es ist sehr kalt geworden, wir müssen die langen Handschuhe raus holen. Auch ziehe ich über meine Radjacke noch die Goretexjacke drüber, um nicht zu frieren. Um alles noch zu toppen, kommt auch noch eine Furt, die ohne Schuhe auszuziehen nicht zu bewältigen ist. So gibt es zusätzlich noch kalte Füße. In nur 50m Entfernung können wir sehen, wie das Wasser aus dem Gletscher kommt.

Da wir nicht mehr so richtig fit sind, hat die Furt-Aktion eine Menge Zeit gekostet. Die Sonne steht jetzt schon im Westen und wir haben Gegenlicht. So sind die Markierungspfähle nicht so einfach zu sehen, zumal es eine Menge wilder Pistenspuren gibt.
Doch dann haben wir den Pass des Vörðurhryggur erreicht und der Blick Richtung Tungnafellsjökull-Gletscher wird frei. Die Anspannung fällt von mir ab. Ab hier geht es zu den Gæsavötn nur noch bergab. Überall sind Steinpyramiden aufgeschichtet, von Leuten, die diese Piste einmal geschafft haben. Nach den Strapazen wird mir klar, warum die Gæsavatnaleið syðri als eine der schwersten Pisten Islands gilt. Aber wir haben perfektes Wetter gehabt. Keine Altschneefelder, keine tiefen Furten, gute Sicht und nicht zu vergessen, eine gut markierte Piste. Wie anstrengend muss diese Piste sein, wenn die Bedingungen deutlich schlechter sind?

Die Abfahrt zu den Gæsavötn ist sehr steil, so dass wir uns nicht ausruhen können. Durch die steinige Piste ist noch einmal volle Konzentration gefordert. Es ist mittlerweile 18 Uhr. Trotzdem kommen uns, von Nyidalur her, noch zwei Unimogs entgegen. Wir müssen so geschafft aussehen, dass der Fahrer des ersten Unimogs anhält und uns fragt wie es uns geht. Ich erkläre ihm, bestens. Bei der Gewissheit, es geschafft zu haben, kann man sich nur bestens fühlen.

Und dann sind wir endlich an den Gæsavötn. Der Tacho zeigt 49 km. Winfried würde gern noch ein paar Kilometer weiter fahren, aber dies hier ist ein prima Platz zum Zelten und es gibt Trinkwasser. Hinter einer ca. 70 cm hohen Erdkante finden wir zwei einigermaßen windgeschützte Plätze für die Zelte. Ich bin froh, als mein Kocher bullert und ich etwas Warmes zu essen habe. Ich kann Marsriegel und Schokolade nicht mehr sehen. Nach dem Essen macht sich die Müdigkeit breit, so dass ich sofort eingeschlafen bin. Gegen 23 Uhr wache ich wieder auf. Mist, ich habe den Sonnenuntergang verpennt. Die Sonne ist schon am Horizont verschwunden. Im letzten Licht will ich noch ein paar Fotos machen. Auf dem See vor uns haben sich einige Wildgänse nieder gelassen. Ich baue die Kamera im Zelteingang leise mit dem Stativ auf, um die Wildgänse nicht zu verscheuchen. Aber mit dem ersten Mal klicken des Auslösers fliegen sie davon. Noch zwei, drei Fotos und dann hat mich die Wärme meines Schlafsackes wieder, aber wegen der Anstrengung wird es eine unruhige Nacht.

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